Willy Fritsch als Schauspieler

Ausschnitt aus dem Kapitel

Der Schauspieler – eine Analyse

In den unmittelbaren Vorkriegs- und Kriegsjahren werden seine Rollen anspruchsloser und reichen vom jungen Vater, der er auch privat mittlerweile ist, bis hin zum Kleinbürger. Oft in historischer Kulisse, was angesichts der Modernität seiner Figuren und Lebenswelten nur wenige Jahre zuvor irritiert. Der Schauspieler, für den es jahrelang in seinem Rollenfach kaum gleichwertige Mitbewerber gab, ist plötzlich einer von vielen geworden, die Durchschnittsfilme für ein nationalsozialistisch kontrolliertes Filmwesen produzieren helfen, welches keine ausgewiesenen Stars mehr zulässt. Filmstoffe sind nicht mehr auf Schauspieler zugeschnittenen und werden auch nicht mehr durch passende Regisseure umgesetzt, sondern dem Personal gewissermaßen »von oben« nach Gutdünken zugeteilt. Die Hauptrolle in der ausgezeichneten, von Erich Kästner unter Pseudonym verfassten Komödie »Der kleine Grenzverkehr« von 1943 könnte – trotz überzeugend liebenswerter Darstellung von Fritsch – auch ein Heinz Rühmann spielen. In »Die Gattin« plant man Fritsch erst für den Part des Gatten ein, besetzt ihn aber später als charakterlich gegensätzlich angelegten Liebhaber, was beweist, dass Schauspieler austauschbar geworden sind in jener Zeit.

Erst 1947 und nach seiner Entnazifizierung gelingt es Willy Fritsch erneut, mit einigen bemerkenswerten Filmen und Rollen auf sich aufmerksam zu machen, die jedoch gemessen an der Zahl seiner Mitwirkungen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Unterzahl bleiben.

Dass er auch im kabarettistischen Fach bestehen kann, beweist er gleich in seinem ersten Nachkriegsfilm »Film ohne Titel«, in dem er seine einstige Vorkriegsrolle als »Liebhaber vom Dienst« mit all ihren Facetten persifliert. Dies muss ihm Spaß gemacht haben, denn seine Augen blitzen wieder in diesem Film, und sein strahlendes Lächeln wirkt so verschmitzt wie einst in »Ich bei Tag und du bei Nacht« fünfzehn Jahre zuvor, wenn er seine Filmkollegin Hildegard Knef energisch von der Kamera wegdreht, um selbst im Rampenlicht zu stehen. Hinsichtlich der im Nachkriegsmilieu angesiedelten Handlung ist Realismus angesagt, in die sich ein schmal gewordener Willy Fritsch gut einfügt und damit im übertragenen Sinne zeigt, dass auch Filmstars jetzt neu anfangen müssen.

Eine weitere Rolle in diesem Genre absolviert er ebenfalls mit Bravour, obwohl zunächst Heinz Rühmann für den Part vorgesehen ist. Der dokumentarisch angelegte Episodenfilm »Herrliche Zeiten« nach einem Drehbuch des Kabarettisten Günter Neumann, in dem Willy Fritsch als Conférencier den Zuschauer zunächst humoristisch durch einst vom Kaiser fälschlicherweise als »herrlich« deklarierte Jahrzehnte geleitet, endet mit einem nachdenklichen Schlusswort. Dass man Fritsch für diese Rolle, wenn auch als Ersatz, überhaupt in Erwägung gezogen hat, beweist die Achtung der beteiligten Produzenten vor dem Können des Schauspielers, der in seiner letzten Einstellung, in der Maske eines alten Mannes, resigniert vor dem Denkmal eines zerbombten Gebäudes hockt, aber mit seinem Epilog die Vision eines vereinten Europas ausspricht und damit Geschichte vorwegnimmt:

»Dann wird man in Europa in keinem Land mehr Ausländer sein, wir sind bloß noch Inländer. Dann werden die letzten Grenzschlagbäume fallen von den Händen der nächsten Generation. Nachbarn werden sich besuchen können, ohne über Stacheldraht zu stolpern. Pässe? Na, mit einem Pass werden Sie nichts mehr erreichen! Was meinen Sie – Nationalstolz? Natürlich! Jedes Land hat seinen Nationalstolz, aber dann legen wir die paar Stölze doch zusammen. So, meine Herrschaften, sehe ich die Entwicklung!«(1)

Beide Rollen dürften die Fans des Schauspielers mindestens genauso überrascht haben wie seine einstige Mitwirkung an den Fritz Lang-Filmen über zwanzig Jahre zuvor, da sich Fritsch hier erneut aus dem für den Zuschauer gewohnten Fach hinausbewegt. …


(1) Willy Fritsch. Monolog aus dem Film Herrliche Zeiten, Comedia-Filmgesellschaft mbH, 1950