Willy Fritsch privat

Ausschnitt aus dem Kapitel

Hinter der Maske

»Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt!« (1)
Mit diesem deutschen Sprichwort überschreibt Willy Fritsch 1926 das erste ausführliche, jemals über ihn veröffentlichte Portrait in einer Filmzeitschrift und verrät damit bereits vieles, was sich später wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen wird. Noch sind keine Heerscharen von Presseagenten damit befasst, ihm passende Worthülsen in den Mund zu legen oder Pressemitteilungen in den Umlauf zu bringen. Fritsch steht erst am Anfang seiner Karriere innerhalb eines Filmstarwesens, das Mitte der 1920er Jahre noch in den Kinderschuhen steckt und das unschuldig sogar stets die Privatadressen der Schauspieler für Korrespondenzen mit ihren Fans verrät.

Und so geschieht es, dass Fritsch, aufrichtig und humorvoll, ein paar Eigenschaften und Liebhabereien preisgibt, die auch in den Folgejahren innerhalb seiner Biografie immer wieder auftauchen.

Bereits der Fünfundzwanzigjährige bezeichnet das Schlafen als seine Lieblingsbeschäftigung, unterstreicht seine Heimatliebe, benennt Kaviar und Bier als Lieblingsspeisen, schwärmt vom Auto als Lieblingssport und Passion, und beim Blick in die Ferne fällt ihm Italien als Lieblingsland ein. Diplomatisch gibt er sich, befragt nach seinem Frauengeschmack und der Ehe als Institution – alles vereinbar mit dem ebenfalls erwähnten Endziel, seinem Publikum zu gefallen. Erst fünf Jahre später, 1931, wird mit dem Publizieren seiner Biografie in Buchform das offizielle Bild des Schauspielers Willy Fritsch endgültig komplettiert und geprägt. Das im Handtaschenformat gehaltene Heftchen erscheint im Scherl Verlag, der, genau wie die Ufa-Filmgesellschaft, zum nationalkonservativen Konzern des Wirtschaftmoguls Alfred Hugenberg gehört und daher viele Fotografien enthält, die parallel auch in der Filmwelt abgedruckt werden. In der Mehrzahl sind dies die Bilder eines lächelnden Schauspielers, der entweder keck mit Augenaufschlag oder verliebt mit einer Filmpartnerin im Arm in die Kamera des Fotografen blickt, während der nebenstehende Text zwar den netten, natürlich unverheirateten, jungen Mann von nebenan kolportiert, aber dennoch keinen Zweifel daran lässt, dass Willy Fritsch als Künstler zu höherem geboren sei als der normale Erdenmensch und seine wertvolle Zeit stets dazu nutze, sich körperlich und geistig zu vervollkommnen. Dazu gehöre vermeintlich ein Sprachenstudium sowie die Ausübung verschiedener Sportarten wie zum Beispiel Tennis.(2) Zur selben Zeit erscheint dann auch eine Autogrammkarte, die den Schauspieler mit einem Tennisschläger zeigt. Wie Willy Fritsch wirklich darüber denkt, offenbart er zuweilen im Gespräch. Lieber würde er morgens eine Stunde länger schlafen als sich mit einem Trainer auf dem Tennisplatz abzuhetzen, berichtet er der befreundeten Filmjournalistin Edith Hamann, die ihm ihrerseits ein bequemes Naturell bescheinigt und verrät, Fritsch sei selbst im Schwimmen kaum guter Durchschnitt.(3)

Weitere Zeitzeugen bestätigen diesen Eindruck. »Wenn man ihn vierzehn Stunden schlafen ließ, schlief er vierzehn Stunden. Wenn man ihn zwanzig Stunden schlafen ließ und nicht aufweckte, schlief er zwanzig Stunden. Er war nicht dieser dynamische, übereifrige Typ wie Willy Forst zum Beispiel«(4), erzählt der Filmautor und Regisseur Walter Reisch, und der Journalist Ludwig Maibohm ergänzt: »Willy war, mit einem Wort, ein bequemer Mann. Das schließt nicht aus, dass er im Atelier ein hundertprozentig zuverlässiger Arbeiter war, um es einmal so zu formulieren. Aber er ging doch gerne den bequemen Weg.«(5)

Obwohl das Bett bis zu seinem Lebensabend einer seiner favorisierten Aufenthaltsorte bleibt, zeigt sich der Schauspieler Willy Fritsch in der Tat während eines Filmengagements umso disziplinierter. Nicht nur begrüßt er stets jeden einzelnen am Film beteiligten Mitarbeiter während Dreharbeiten allmorgendlich mit Handschlag, sondern erweist sich auch sonst als Mensch ohne jegliche Allüren. Zahlreiche Homestories seiner langen Karriere geben immer wieder Einblick in das private Leben des Schauspielers, und während Kollegen sich für Filmmagazine in Hotelzimmern oder fremden Appartements ablichten lassen und diese als ihre Wohnung ausgeben, gewährt Willy Fritsch stets ehrlich Einlass in seine Privaträume und verrät zwischen den Zeilen auch viel über sein Seelenleben. »Vergnügt erzählt Fritsch manche nette Episode von seinen Fahrten durch die märkische Landschaft, die sich dann ergibt, wenn Filmfreunde ihn erkennen. In seiner sympathischen Bescheidenheit bittet er aber, darüber nichts zu schreiben, damit es nicht aussehe, als ob ein Filmstar sich eitel selbstbespiegeln wolle«(6), schreibt das Magazin Filmwelt bereits 1933 und fährt fort, dass Fritsch darüber hinaus das Wort »Filmstar« in Bezug auf seine Person überhaupt nicht gern hören möge. Er bewahrt sich diese Haltung bis ins hohe Alter. Sehr bescheiden sei er gewesen und habe sich nie selbst gelobt, berichtet Kathrin Kegler-Fritsch, die ihren späteren Schwiegervater erst 1963 kennenlernt. Er habe sich stets zurückgenommen und sei sehr umgänglich gewesen. Auch habe er privat nie über seinen Beruf gesprochen.(7)

Wie »Ein Feuerwerk an Charme«(8) habe sein Vater gewirkt, der zwar eine gewisse Unnahbarkeit ausgestrahlt, aber der ihn aufgrund dieses Charmes gleichsam fasziniert und den er als Schauspieler bewundert habe, erzählt Thomas Fritsch.(9)

Gegenüber Kollegen erlaubt er sich auch nach Jahrzehnten im Filmgeschäft keine Extravaganzen und ordnet sich jedem noch so jungen Regisseur unter. Der Zeitschrift Film Revue sagt er dazu: »Man hat schließlich seinen Vertrag und der setzt auf alle Fälle voraus, dass man pünktlich zu erscheinen, seinen Text zu können und den Gang der Dreharbeiten nicht durch Launen oder Allüren zu stören hat.«(10) Zuweilen verblüfft er mit dieser Haltung nicht nur die Autorin des vorgenannten Film-Revue-Artikels, der er sich, ganz Gentleman, mit Verbeugung und sogar Namen vorstellt, sondern auch junge Kollegen. Der Schauspieler Robert Naegele zeigt sich, als er mit Willy Fritsch 1959 für den Film »Hubertusjagd« vor der Kamera steht, von folgender Begebenheit beeindruckt: »Ich kann mich z.B. noch daran erinnern, wie Willy Fritsch nach einem Drehtag in der Bavaria plötzlich zu mir sagte: ›Darf ich Sie nach Hause fahren?‹ Das haben die Mittleren nicht gemacht, aber die Großen haben das sehr wohl so gehalten.«(11)

Kathrin Kegler-Fritsch bestätigt dies und meint, Fritsch sei nicht egozentrisch und nur vielleicht ein bisschen eitel gewesen. Ein gepflegter, sehr wohlerzogener Herr, der nicht besonders ehrgeizig mit sich selbst, aber trotzdem kein Faulpelz gewesen sei.(12) Nur ungern habe er Autogramme gegeben und sich stets gefragt, was die Leute damit anfangen würden, erinnert sich auch Thomas Fritsch. »Natürlich hatte er schon so seine dreißig Anzüge im Schrank, in allen Farben, gestreift – und er mochte Schuhe. Aber wenn er nach Hause kam, hat er sofort seine Flanellhosen angezogen.«(13)

»Ich bin ein ganz normaler Mensch, unkompliziert, gut Freund mit jedermann, diszipliniert in der Arbeit, aber der angenehmen Seite des Daseins durchaus nicht abgeneigt«(14), sagt der Schauspieler über sich selbst. Demütig gegenüber so viel Glück innerhalb der Karriere müsse man sein, betont er noch 1964 anlässlich seines letzten Films (15), und Max Schmeling erinnert sich einige Jahre nach Fritschs Tod an seinen langjährigen, besten Freund: »Er war immer freundlich, er hat, also, sich niemals aus der Ruhe bringen lassen, und er war ein großartiger Kerl.«(16)

Sein offenes, herzliches Lachen ist es, das Willy Fritsch 1923 seine erste große Filmrolle ein- und seinen Regisseur dazu bringt, ihm bereits in jungen Jahren ein Drehbuch auf den Leib zu schreiben. Aber auch abseits der Filmstudios weiß man die gute Laune und unkomplizierte Art des Schauspielers sehr zu schätzen. »Willy Fritsch war für das große Kinopublikum dasselbe, was er für den kleinen Kreis seiner wirklichen Freunde war. Er war nämlich ein sonniger Mensch, er war ein Glück verbreitender Mensch. Zum Beispiel der große Regisseur Joe May hatte ihn immer wieder eingeladen, zu jeder seiner Parties, weil er sagte, wenn der Willy Fritsch da ist, der lacht über jeden Witz, dem schmeckt das Essen, dem schmeckt der Wein, für den sind die Frauen die schönsten Frauen, und jeder wird sich mit ihm in wunderbarster Weise unterhalten können, weil er wunderbar auch zuhören konnte. Er hatte dieses große unglaubliche Talent, Freude zu verbreiten, Schönheit zu verbreiten, und das kommt auch in seinen Filmen heraus.«(17)

 

… / weiteres im Buch.


(1) vgl. Wer die Arbeit kennt und sich nicht…! Geständnisse von Willy Fritsch in: Mein Film Nr. 51/1926, S. 3
(2) Willy Fritsch. Die Geschichte einer glückhaften Karriere, Verlag August Scherl GmbH, Berlin 1931, ohne Seitennummerierung
(3) Willy Fritsch von Edith Hamann in: Filmwoche Nr. 7 vom 11.02.1931, S. 208
(4) Walter Reisch in: Sterne, die vorüberzogen. Erinnerungen an den deutschen Tonfilm. TV-Dokumentarfilm von Herman Weigel. Bavaria Atelier GmbH, Erstausstrahlung 14.03.1977
(5) ebenda
(6) Ein Tag mit Willy Fritsch in: Filmwelt Nr. 27 vom 02.07.1933
(7) Telefonat der Autorin mit Kathrin Kegler-Fritsch am 11.12.2015
(8) vgl. Illustrierter Filmkurier Nr. 13/1964 zum Film Das hab ich von Papa gelernt
(9) Telefonat der Autorin mit Thomas Fritsch am 18.02.2016
(10) Film Revue Nr. 21/1952
(11) Robert Naegele im Gespräch mit Ernst Vogt in der Sendung Forum des Bayerischen Rundfunks vom 07.03.2003
(12) Telefonat der Autorin mit Kathrin Kegler-Fritsch, ebenda
(13) Telefonat der Autorin mit Thomas Fritsch, ebenda
(14) Film Revue Nr. 21/1952, ebenda
(15) vgl. Das hat er von Papa gelernt in: Hamburger Abendblatt Nr. 130 vom 06./07.06.1964, S. 10
(16) Interview mit Max Schmeling in: Sterne, die vorüberzogen, TV-Dokumentarfilm von Herman Weigel, a.a.O.
(17) Walter Reisch in: Sterne, die vorüberzogen,  TV-Dokumentarfilm von Herman Weigel, a.a.O.

 

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