Als Offizier alter Schule stand Rittmeister Erich Schmidt mit einem Blumenstrauß in der Tür. Am Valentinstag im zweiten Kriegsjahr 1916 hatte er Heimaturlaub bekommen, und es gab einen Grund für das Gesteck. Gerade hatte seine Gattin Helene an diesem 14. Februar 1916 morgens um halb 9 die dritte Tochter Ilse zur Welt gebracht. Wie damals üblich, im Wochenbett der heimischen Wohnung in der Charlottenburger Fasanenstraße, wo die Familie in der Bel Etage residierte. Die Schwestern Annemarie und Erika bejubelten die Ankunft des Babys, aber es wurde bald eng zuhause, und so zog die fünfköpfige Familie im Folgejahr in die vornehme Schillerstraße desselben Bezirks. Ein Jahr später war der Krieg verloren und der Vater verließ die Armee. Für Offiziere außer Dienst wurde dennoch gut gesorgt, deshalb verlebte Ilse eine behütete Kindheit, bis der Vater 1927 starb und die Mutter mit ihren drei Mädchen zunächst in ein kleineres Appartement umziehen musste.
1927
Schon früh entwickelte die kleine Ilse Schmidt ihr Talent zum artistischen Tanz und nahm bereits als 11-jährige professionellen Unterricht beim renommierten Ballettmeister Max Terpis, der nur die Besten bei sich lernen ließ. Ihr Gleichgewichtssinn war sensationell! Das sah auch der Regisseur Erik Charell so, als er sie 1930 auf der Bühne des Berliner Nelson-Theaters entdeckte. Für seine Revue »Im Weißen Rössl« nahm er sie ein Jahr später mit nach London, so dass es Zeit war für einen Künstlernamen: Dinah Grace.
Die grazile Tanzakrobatik des Teenagers beeindruckte sofort und stach aus dem Gesamtensemble heraus. Sie rief schnell auch berühmte Fotografen wie Lotte Jacobi auf den Plan, die später sagen sollte, Dinah Grace sei die beste, jemals von ihr abgelichtete Tänzerin gewesen.1 (Fotografie bei Artnet).
Die stolze Mutter gab ihre Stelle als Gesellschafterin eines Kommerzienrats auf. Bereits jetzt sicherten die Einkünfte der Tochter den Unterhalt der gesamten Familie und ermöglichten bald wieder ein Domizil unweit des Kurfürstendamms.
1933
Berlin! Zurück in ihrer Heimatstadt avancierte die junge, aber bereits auslandserfahrene Künstlerin umgehend zu einer der Attraktionen im Wintergarten, des Metropol Theaters und vor allem der Scala. Es folgten Gastspiele im Hansa-Theater in Hamburg oder dem Düsseldorfer Apollo. Auch Budapest, Prag oder Wien standen im Tourplan. In der Donaustadt gastierte Dinah Grace über einen so langen Zeitraum hinweg, dass man sie sogar für eine Wienerin hielt. Kein Wunder also, dass auch der Film nicht lange auf sich warten ließ. 1934 fiel die erste Klappe.
Längst warteten zu dieser Zeit auch andere auf Dinah Grace, zum Beispiel am Bühnenausgang. Selbst der berühmte Willy Fritsch, den die junge Tänzerin 1933 erst in einer Bar getroffen und später als Zuschauer im Berliner Metropol Theater begrüßt hatte, saß draußen im Wagen, und Dinah stieg zu. Zunächst nur vorübergehend. Denn während der Schauspieler Filme drehte, gastierte seine Freundin weiterhin in Paris oder Bukarest. Er kaufte eine Hündin und nannte sie Dinah. Erst 1936 nahm die Tänzerin wieder Folge-Engagements in Berlin an. »Herrliche Welt« oder »Traum-Karussell« lauteten die Titel der Scala-Revuen, die im Sommer nicht nur das heimische Publikum, sondern auch die ausländischen Besucher der Olympiade faszinierten und noch im Herbst des Jahres allabendlich ein ausverkauftes Haus garantierten. Privat sahen sich Dinah und Willy jetzt wieder öfter und nahmen sich Zeit füreinander. Was nicht ohne Folgen blieb.
1937
Im Februar hing das Aufgebot im Kasten. Nach einem großen Medienereignis vor dem Standesamt Dahlem zog Dinah in Willys Haus im Berliner Grunewald ein und gestaltete die obere Etage um. Denn schon im Juli 1937 war Familie Fritsch zu dritt. Sohn Michael bekam ein eigenes Zimmer und eine Nanny, weil die Eltern nicht nur eine schöne Hochzeitsreise für den Winter gebucht hatten, sondern Dinah auch ein neues Filmangebot erhielt, das sie nicht ausschlagen wollte. Auf ein ursprünglich für das Frühjahr 1937 geplantes Engagement in Budapest hatte der Bühnenstar schließlich verzichten müssen.
In die Annalen der Filmgeschichte ging die im rheinischen Milieu angesiedelte und 1938 hergestellte Produktion später nicht ein. Die zentral in die Handlung eingebundene Tanzperformance innerhalb einer Wohnzimmerkulisse aber war dennoch beeindruckend. Wichtiger war ohnehin, dass die 22-jährige Künstlerin endlich wieder tanzen konnte.
Frau Fritsch
Als sich Dinah Grace im Januar 1939 zur Premiere von »Spaßvögel« auf der Bühne des Berliner Atriums verbeugte, war die Stimmung bereits ernst in Europa. Revueangebote erhielt die junge Mutter jetzt nicht mehr. Die Zeiten waren nicht danach unter einem Regime, das das Mutterkreuz mehr schätzte als ein Hohlkreuz auf der Bühne. Dinah fügte sich, wurde Hausfrau und turnte fortan nur noch im Garten. Gelegentlich kamen ihre Schwestern zu Besuch in das Haus im Grunewald, und stand ein Filmball an, begleitete sie ihren Mann.
»Für mich war es wahnsinnig schwer. Ich werde nie vergessen: Ich ging das einzige Mal in meinem Leben auf einen Ball. Auf den Filmball. Wir waren jungverheiratet. Wir kamen hin, mich kannte ja keiner, nur auf der Bühne. Aber das war ja nicht zu vergleichen mit dem Ruhm meines Mannes. Er wurde innerhalb von Sekunden von mir weggerissen von irgendwelchen wilden Frauen, und ich stand da, mutterseelenallein; ich stieg also in ein Taxi und fuhr nach Hause. […] Sehen Sie, das erste war, ich musste meinen Wagen verkaufen. Ich hatte mir mit 17 Jahren schon meinen Wagen verdient, denn ich war in meinem Beruf auch ›jemand‹. Aber nun heiratete ich und stand immer im Schatten. Ich fuhr also mit meinem Mann. Es stand dann irgendwo so ein blondes Glück, guckte natürlich herüber, sein Wagen war ja allgemein bekannt. Er guckte auch, es entstand ein Lächeln, ich saß daneben. Ich fand es furchtbar. Dann kamen zwei bis drei super-blonde Damen im Wagen hinterher gefahren…«2
1941
Zwei Jahre dauerte der Krieg bereits. Wer als Bühnenkünstlerin nicht gerade Granaten für die Rüstung zusammenschrauben wollte, ließ sich zur Truppenbetreuung einteilen. Dinah Grace meldete sich freiwillig und reiste ins besetzte Polen. Mit ihr die Schauspielerin Grethe Weiser – eine enge Freundschaft entstand. Über weiteres hat sie nie gesprochen.
Private Momente zählten ohnehin mehr. Längst hatte sich der Kriegsverlauf gedreht, zahlreiche Bombenangriffe erschütterten Berlin. Auch das Haus in Berlin-Dahlem blieb nicht ganz unversehrt. Willy Fritsch peinigten Angst und Panikattacken. Seine junge Frau erwies sich als die Stärkere. Sie liebte das Meer, also packte sie ihren Mann und reiste für den Sommer ins beschauliche Bansin auf Usedom.
Erst im Januar 1944 nahm sie allein in Dresden Quartier. Der zweite Sohn Thomas wurde geboren. Später sollte er Schauspieler werden wie sein Vater, aber zunächst lag er nun in einem Brutkasten von Dr. Lahmanns Privatklinik auf dem Weißen Hirschen. Wo sich auch sein Vater wiederum nebenan schon regelmäßig auf der Pritsche ausstreckte, wenn er sich früher, noch als Junggeselle, mit vielen anderen Prominenten zur Kur auf den noblen Hügel oberhalb der Elbstadt begeben hatte. Jetzt mimte er gerade den Lehrer in einem Propagandafilm, während sich Dinah von der schweren Geburt ihres gemeinsamen Jungen erholte.
1947
»Und als dann der Krieg vorbei war, war ich abgeklärt.«3
Dinah Grace hatte alles geregelt. Die Flucht nach Hamburg war geglückt, und ein alter Freund erklärte sich bereit, die Familie aufzunehmen. Deren Haus in Berlin war ohnehin leergeräumt. Was die Sieger nicht als Gewinn für sich reklamierten, hatte zuvor bereits die Dahlemer Nachbarschaft hinausgetragen, als die Eigentümer gerade nicht zugegen waren. Zwei Jahre nach Kriegsende war auch Willy Fritsch entnazifiziert und drehte wieder Filme. Dinah Grace drehte ihre Runden derweil im Hamburger Stadtpark, kümmerte sich liebevoll um das Haus, in das man bald zog, um die beiden Söhne und um ihren Mann.
»Wenn ich die Dinah nicht hätte, müsste und würde ich ja alles selber machen«4 , erklärte der. »Aber du könntest es nie. Du hast ja keine Ahnung vom Tuten und Blasen«5, entgegnete sie.
Launige Stunden unter Freunden wechselten sich ab mit ruhigen Abenden zuhause in Hamburg-Alsterdorf in diesen Jahren. Zuweilen erschien Dinah Grace bei wohltätigen Veranstaltungen wie dem »Frühlingsbasar« des Deutschen Roten Kreuzes oder an der Kaffeetafel zur Verleihung der Hamburger »Bestmann-Plakette«, um noch einmal Proben ihrer Kunst oder auch nur sich selbst zu zeigen. Größere gesellschaftliche Anlässe mied das Paar, und stand ein Filmball an, ging ihr Mann meist alleine hin. Oft drehte er auch, in Berlin oder München, und wenn er zuhause die Drehbücher dazu studierte, las der Rest der Familie Saint-Exupérys »Der kleine Prinz« – Dinahs Lieblingsbuch für ihre Kinder.
1958
Die Diagnose des Hausarztes kam wie ein Schock: Brustkrebs! Im fünften Lebensjahrzehnt angekommen, bestimmten von nun an Krankenhausaufenthalte den Alltag der ehemaligen Tänzerin. Sie war immer noch sportlich und rauchte nur mäßig Zigaretten. Einige Jahre lang sah es aus, als habe man alles im Griff. Der jüngere Sohn Thomas kümmerte sich neben der Schulzeit rührend um die Mutter, und auch nach seinem Wechsel auf die Schauspielschule kochte er, putzte das Haus und leistete ihr Gesellschaft. Dinah Grace begleitete zum Vorsprechen und war stolz auf die Karriere des Sohnes, der bald im Film Fuß fassen konnte. Von jungen Leuten wurde er nun verehrt wie einst sein Vater, während der ältere Sohn eine Ausbildung zum Grafiker absolvierte. Auch Willy Fritsch ließ sich von seiner Frau beraten, und gemeinsam blieb ihnen das Reisen an die See, nach Spanien und Sylt oder in die Alpen zum Skiurlaub.
Am 15. März 1962 feierte das Ehepaar Fritsch seinen 25. Hochzeitstag. Silberhochzeit. Einmal mehr war die Presse geladen und Dinah gerade wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Es gab Sekt. Später im Jahr stieß man erneut an, denn nicht nur hatte Sohn Thomas in der Zwischenzeit mit Weltstars wie Lilli Palmer und Charles Boyer sein Debüt gedreht, sondern lud die Mutter auch zur Premiere seines zweiten Films, zum ersten Mal als Hauptdarsteller, nach München ein. Ihr zu Ehren setzte er am Nachmittag eine Sondervorstellung ohne Publikum durch, und als er sich später am Abend auch vor den Zuschauern verbeugte, platzte Dinah vor Stolz.
1963
Ihren 47. Geburtstag am 14. Februar beging Dinah Grace im Krankenhaus. Erneut hatte es einen gesundheitlichen Rückschlag gegeben, und sie wusste, dass sich ihr Zustand nicht mehr bessern würde. Willy hatte schon länger keine Angebote angenommen und drehte nicht mehr. Sohn Michael hatte als Grafiker Fuß gefasst, und Thomas Fritsch bereitete sich auf den nächsten Film vor. Gemeinsam pendelten Vater und Söhne regelmäßig zwischen Hamburg und der fachärztlichen Abteilung des Kreiskrankenhauses Bad Oldesloe.
Auch am 10. Mai 1963. Willy hatte das Krankenhaus am Nachmittag verlassen, Thomas blieb. Am Abend starb Dinah Grace.
Fotos:v.l.n.r. Dinah Grace beim Training, 1938 (Tobis/Saatow), Dinah Grace. Portrait 1933 (unbekannt, Abbildung in Das Magazin Nr. 113/1934), Dinah Grace 1935 (Foto: Schneider), Ross-Autogrammkartenmotiv. undatiert (Atelier Binder), Dinah Grace beim Training, 1938 (Tobis/Saatow)
Anmerkung: Der Grabstein auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg trägt das Geburtsjahr 1917. Warum dieser Fehler nie korrigiert wurde, lässt sich nicht klären. Alle überlieferten Urkunden im Standesamt Charlottenburg-Wilmersdorf (Geburt: Charl. I, Nr. 72/1916), Landesarchiv Berlin (Heirat: Dahlem, Nr. 14/1937) und Stadtarchiv Bad Oldesloe (Sterbereg.: Nr. 179/1963) weisen das Jahr 1916 aus.
(1) Lotte Jacobi. Theater & Dance Photographs. Countryman Press 1982, S. 12
(2) Immer diese verflixten Blondinen. Willy Fritsch und Dinah Grace im Eheverhör. Star Revue Nr. 9 vom 02. April 1961, S. 20
(3) ebenda, S. 21
(4) ebenda, S. 22
(5) ebenda, S. 22